Antiverpeil Howto

Susanne Schmidt

Disclaimer: Ich bin keine Couch und ich nehme deswegen auch keine Patienten. Das Dokument ist nicht GPL und ich pflege Änderungen nach meinen Vorstellungen selbst ein oder auch nicht. Tips oder Anregungen sind willkommen. Erfahrungsberichte bitte nur nach echtem Ausprobieren über mehrere Wochen. Auf Emails wie "Ist doch kacke und klappt eh nicht" verzichte ich dankend im Vorraus.

last update: 19.03.2002

Einleitung

Verpeilen und Konjunktivitis sind enge Freunde. "Müsste man mal." "Sollte ich heute machen." "Ich muss endlich xy erledigen." "Ich habe verschlafen." "Ich habs vergessen." Wenn solche Sätze bestimmend für dein Leben sind, könnte es sein, dass du willkommen im engeren Kreis der Verpeiler bist. Auf der einen Seite entbehrt es nicht einem gewissen Humor, jemanden während der Diplomarbeit geradezu manisch die Wohnung putzen zu sehen - auf der anderen Seite bedeutet Verpeiler zu sein, immer unzufrieden mit sich zu sein und von anderen als unzuverlässig eingestuft zu werden. Es bedeutet, mit zunehmendem Alter immer mehr zu kapieren, welche Chance man nicht wahrgenommen hat - nicht, weil man nicht wollte, sondern weil man es schlicht nicht gebacken bekommen hat. Es bedeutet, zu spannenden Projekten nicht mehr eingeladen zu werden, weil man als Verpeiler gilt. Manche verpeilen auch das Leben mit ihrer Freundin oder haben mehrere Tausend Währungseinheiten Steuerschulden, weil sie die 5,6 Stunden des Steuerpapiere sortierens nicht hinbekommen. Es gibt kleines Verpeilen wie sich auf den letzten Drücker an der Uni zurückzumelden, aber auch grosses Verpeilen, wie das Abi nicht zu schaffen oder so oft durch das Diplom zu fallen, bis man nicht mehr darf. Verpeilen bedeutet, sehr unzufrieden mit sich selbst zu sein und irgendwann den Wunsch zu haben, einfach nur tun zu können, was man sich vorgenommen hat. Produktiv sein heisst nicht im kapitalistischen Sinne total effizient das letzte bisschen Kraft aus sich heraus zu arbeiten - das ist ebenso problematisch wie gar nichts geregelt kriegen. Ich rede hier von der zufrieden machendenden Produktivität wie das Lieblings Open Source Projekt zu programmieren, von dem man träumt, den Sprachkurs endlich zu machen, den man schon immer machen wollte, das Abi zu kriegen, weil man ansich schlau genug ist, die Diplomarbeit endlich abzuliefern, damit es endlich vorbei ist, den Job zu behalten, weil man endlich sein Zeug erledigt bekommt, keine Steuerprobleme zu haben, weil man die Papiere abliefert, eine halbwegs freundliche Wohnung zu haben, in der man sich wohlfühlt, wenn man nach Hause kommt, die Kühlschranktür zu öffnen und mehr als nur Tiefkühlpizza vorzufinden, sich mehr um seine Gesundheit zu kümmern, weil man einfach nicht mehr 20 ist, das Howto zu schreiben, was man schon lange im Kopf hat.. :) Es geht also darum:

Ich tue einfach das, was ich mir vorgenommen habe, zu tun.

Risiken und Nebenwirkungen des Antiverpeilens

Wenn du dieses Howto liest, wirst du vieles wieder finden, was du kennst. Du wirst eine Lösungsmöglichkeit vor Augen haben. Du wirst total euphorisch das Gefühl haben, jetzt wird alles gut. Wird es - wenn du dir klar machst, dass das nicht von heute auf morgen geht. Ich sehe, dass die Leute, die mit dem Antiverpeilen anfangen, erstmal total euphorisch sind. Der erste Tag läuft super. Damit ist es leider nicht getan. Es muss 3 Tage, 20 Tage, 100 Tage "gut genug" laufen. Du wirst Rückschläge haben, 2,3 Tage zurückfallen, rumzicken und mit dir selbst feilschen "Nur 5 Minuten länger vchat!" "Noch diese Newsseite!" "Nur noch diesen Level Quake!" "Nur ne Viertel Stunde weiterschlafen!" Du kannst dem nachgeben - aber dann arbeitest du nicht gegen das Verpeilen an. Du wirst leider konsequent und mit viel Kraft und viel dich selbst dahin überreden wieder und wieder dich an den Schreibtisch oder an den Putzlappen, Steuerpapiere usw. überwinden müssen. Es wird einfach nach 2,3 Tage sehr schwer, weil deine alten Gewohnheiten, die psychologische Vertrauheit des Verpeilens voll zuschlagen. Es fühlt sich KACKE an am Anfang. Antiverpeilen ist anfangs eine Qual. Das ist total ungeil und schwierig. Du bist unruhig, unkonzentriert und genervt. Es macht einfach keine Spass. Es wird erst im Laufe der Zeit besser, einfacher und dann auch bequemer produktiv zu sein. Irgendwann dann wird der Spass wieder kommen, weil du Dinge hinbekommst. Weil deine Projekte vor dir liegen. Weil du die überraschten Blicke deiner Kollegen ob deiner neugewonnenen Pünktlichkeit siehst. Sonn dich drin - aber es dauert eben einfach 3 Monate, bis es einfacher wird.

Wie zeigt sich Verpeilen?

Wie man sieht, kann man in jedem beliebigen Lebensbereich verpeilen. Die meisten Verpeiler haben einen bevorzugten Verpeilbereich, während andere Lebensbereiche klappen. Manche sind im Job produktiv, aber ihne Wohnung sieht aus wie eine Müllhalde (und ich meine hier wirklich MÜLLHALDE). Andere sind total ordentlich, kriegen aber nie auch nur eine Zeile Code hin. Kurz, es gibt noch Hoffnung, denn die wenigstens sind total restlos verpeilt. Allen Verpeilungen ist gemein, dass man sich einfach unzufrieden oder sogar deprimiert fühlt, eben weil man nicht auf die Reihe bekommt, was man sich vorgenommen hat. Manchmal muss man eben auch hinkriegen, was man nicht tun will - um einen Doktortitel zu haben, muss man nun mal seine Dissertation auch fertig stellen und abgeben - oder ein paar Währungseinheiten auf den Tisch legen. Steuerpapiere macht kaum jemand gern - wenn doch, solltest du mit deinem Hausarzt reden. ;) Manche Leute verpeilen allerdings so schlimm, dass die nicht mal mehr tun können, was ihnen früher mal Spass gemacht hat. Sie schaffen schlicht nichts mehr ausser abhängen, fernsehen, News lesen, sich von Tag zu Tag treiben lassen, verkriechen sich im Job vor einer Beurteilung oder brechen das Studium einfach ab. Bist du wirklich faul - dann ist das egal, denn du bist nicht unzufrieden damit oder hast ein schlechtes Gewissen, weil du eigentlich etwas anderes tun möchtest. Verpeilen ist aber etwas anderes als wirklich faul sein.
Wichtigstes Kennzeichen des Verpeilens ist, dass du nicht tust, was du dir vorgenommen hast, sondern stattdessen auf dein individuelles Verpeilen ausweichst!

Freiheit und Chaos

Der erste Irrglaube: Was auf die Reihe kriegen ist uncool. Ja, es ist total uncool, wenn man früh aufsteht, weil man Zeug erledigt kriegen will, wenn man früher von einer Party abhaut, weil man morgen was hinkriegen will, wenn man heute abend nicht mitgeht, weil man was lernen muss und dann ein Abi kriegt usw. usw. Vergegenwärtige dir, was wirkliche Freiheit ist: Das zu tun, was DU dir vorgenommen hast? Projekte zu machen? Etwas, was DICH interessiert, zu wissen? Egoistisch zu sein, und dich nicht um Freunde zu kümmern, weil dein Abi/Diplom/Projekt jetzt DIR wichtiger ist? Such dir einen Guru deiner Wahl. Jemand, den du wirklich bewunderst und bei dem du denkst, ich würde auch gern soviel hinkriegen - und beobachte hin. Du wirst feststellen: Er verpeilt wenig und strukturiert SEIN Leben wie ER will. Such dir Gleichgesinnte. Produktive Leute arbeiten nämlich lieber mit ihresgleichen und nicht mit Verpeilern - du weisst selbst, wie WAHNSINNIG es nervt, wenn du (auf Leute wie dich ;) warten musst.

Produktiven Menschen gelingt folgender Trick: Anstatt sich von Anforderungen von aussen dominieren zu lassen ("du musst xy erledigen!), machen sie, was sie von sich aus tun wollen ("Ich will xy hinbekommen!) - und zwar in der Art und Weise, wie sie es am besten hinkriegen. Manche erreichen das, in dem sie ihre Arbeitszeit so hinorganisieren, dass es für sie am besten passt. Wenn das heisst, dass sie morgens um 6 aufstehen müssen, um ihr Projekt hinzubekommen, dann tun sie es. Andere nehmen in Kauf, sehr viel dazu lernen zu müssen, z.B. mehrere Fremdsprachen, um beispielsweise in ein Forschungsprojekt zu kommen - dafür disziplinieren sie sich dann und setzen sich eben abends nochmal eine Stunde hin und lernen. Leute mit sehr gutem Abi gehen zwei unterschiedliche Strategien: Es gibt denjenigen, der immer so halbwegs da ist, so halbwegs zuhört - und dann ganz gezielt für eine erstklassige Klausur lernt. Andere wiederum haben einen gleichmässigen Lernfluss (oft merken sie das selbst gar nicht), in dem sie einfach nur konzentriert zuhören, Hausaufgaben halt erledigen und vor einer Klausur 2,3 Tage in ein Buch gucken und lernen. Ihr Aufwand ist zum Beispiel auf den Tag verteilt gering - das Ergebnis aber immens. Ein anderes Beispiel: Eine megaordentliche Wohnung kostet täglich ca. 15 Minuten aufräumen und die Ordnung halten - und vielleicht einmal die Woche eine Stunde richtig putzen - und dann ist der Zustand ein Dauerzustand. Das ist deutlich weniger stressig als einmal im Jahr 1 Woche Dauerputzen mit Lebensformen jagen zu müssen. Für viele Verpeiler ist schwierig, sich von anderen Verpeilern (Verpeiler sind gern unter sich - zwangsweise ;) zu emanzipieren: Man bleibt auf der Party hängen, im Chat oder im Cafe, man lässt sich allzugern ins Kino mitschleifen, statt fürs Diplom zu lernen usw. usw. Beobachte deinen Produktivitätsguru: Der haut von der Party ab, wenn ER sich langweilt oder wenn ER früh schlafen will, damit er morgen was hinkriegt. Er wägt ab, was für ihn wichtiger ist - und entscheidet sich. Oder: Der gönnt sich halt 15 Minuten Chat oder News und arbeitet dann einfach weiter und bleibt nicht 2 Stunden hängen. Vielleicht ist er auch jemand, der einfach immer mehrere wohldosierte Projekte macht - kommt er in einem nicht weiter, macht er einfach an dem anderen etwas. Er verzettelt sich aber nicht, sondern hat vielleicht 2 oder 3 Sachen gleichzeitig - und nicht 5 oder 6. Mach dir klar, dass Intelligenz sich nicht nur im ERGEBNIS des Sourcecodes (deines Projektes) zeigt, sondern auch in der Ausführung - das heisst, mit wieviel Aufwand und Freude und Konzentration man wie geschickt dort hin gelangt.

Mach dir aber klar, dass du eventuell auf Probleme stösst, wenn du

Das ist nicht einfach und erfordert von dir, dass du dir klar überlegst, was dir jetzt wichtig ist. Wenn du kurz vor Abgabe des Diploms stehst, hast du eh keine Wahl. Gerade Frauen tendieren ausserdem dazu, sich für (fälschlich) zu egoistisch zu halten, wenn sie dem nachgeben, was sie gern tun möchten oder sich aus bestimmten sozialen Anforderungen heraushalten, die an sie gestellt werden. Oftmals siehst du dich, wenn du beginnst, dich um eigene Themen und Interessen zu kümmern, mit dem Vorwurf des Egoismus konfrontiert "Früher hattest du mehr Zeit!" "Du bist so hart geworden!" "Das ist doch total unhöflich, wenn man da nicht hingeht - du bist doch eingeladen!" - so setzt sich jeder einem schleichenden Zwang zum Sozialleben aus. Ich rede nicht davon, Freundschaften (echte!) zu vernachlässigen oder sich ab sofort aus allem rauszuhalten, sondern davon, sich selbst und die eigenen Interessen wichtig genug zu nehmen und sich von drögen Verpflichtungen zu emanzipieren.

Verpeilen und neue Gewohnheiten

Rechne anfangs damit, dass es noch nicht perfekt klappt, wenn du aufhörst, zu verpeilen. Neue Gewohnheiten brauchen schlicht aus psychologischen Gründen etwa 30 - 60 Tage, bis sie sich normal anfühlen. Bis dahin musst du mit dem Gefühl rechnen, dass "irgendwas" falsch ist. Das ist die Zeit, wo man sich selbst belabert: "Ich habe keine Lust, ich mag nicht, ich bin müde, das hat eh keinen Sinn, wieso tue ich mir dann an, das bringt doch eh nix, ach was solls!" sind typische Selbstsabotage-Gedanken. Achte darauf, wenn du anfängst, mit dir selbst rumzustreiten - du bist kurz davor, ins Verpeilen zurück zu fallen. Bevorzugte Opfer:

Man liegt da einfach mit sich selbst und seiner Bequemlichkeit (nicht Faulheit!) im Kampf. Bequem ist für die Seele, was sie kennt. Das führt zu Absurditäten wie dass sich bequemer anfühlt, was ungesund für einen ist - oder andersrum: Deswegen fühlt es sich so schwer an, für sein eigenes Wohlbefinden etwas zu tun. Nach einem bestimmten Zeitraum ist das neue Verhalten eine echte Gewohnheit geworden und du verstehst nicht mehr, wieso dir das früher so schwer fiehl. Das bedeutet aber auch: Echtes Antiverpeil ist keine Eintagsfliege, die man mal fix an einem Wochenende lernt, sondern ein Prozess, der etwa ein Viertel Jahr Zeit braucht, bis er wirklich etabliert ist. Es wird Rückfälle geben, du wirst am Sinn zweifeln, es wird sich einfach scheisse anfühlen, du wirst drei Tage in Totalverpeilung verfallen - rappel dich einfach wieder auf und mach weiter. Es bleibt dir sowieso nichts anderes übrig, als es wirklich zu tun und Konjunktivitis aus deinem Wortschatz zu streichen.

Rechne anfangs auch damit, dass dir das anfangen sehr schwer fällt. Du hast gute Vorsätze, du weisst, was du tun willst - aber du drückst dich davor, anzufangen. An dieser Stelle hast du einen schwierigen Punkt zu überwinden: Es gibt kein anderes Hilfsmittel als "MACHEN". Wenn du nicht zum vorgenommenen Zeitpunkt anfängst, dann fang 5 Minuten später an. Fang dann an, wenn ein Vogel draussen vorbeifliegt. Fang an, wenn das Lied zuende ist. Aber fang einfach an. Es geht nicht anders. Hör auf, über "könnte man mal", "müsste man endlich" "Ich sollte jetzt" zu reden, sondern tu es. Achte drauf, wie oft anderen Leute so reden und beobachte, wieviel Projekte in solchen Fällen hinten rausfallen. ;)

Anfangen, ausweichen und weiter verpeilen

Du weisst, dass du bestimmte Dinge nicht tust, die du tun willst. Was aber tust du stattdessen? Du verpeilst in deiner Lieblingsverpeilform. Das heisst zweierlei: Eine Sache musst du lernen zu lassen, um eine andere zu tun. Du hast folgendes Problem: Das Verpeilen ist ein Symptom - nicht das Problem. Das Verpeilen ist ein Ausweichmechanismus, weil du die Hauptsache nicht tun möchtest - selbst, wenn du weisst, dass du musst oder das es ungeheuer wichtig ist - oder selbst dann nicht, wenn du es einfach nur gern willst, weil es dir Spass macht. Manche Leute verpeilen so schlimm, dass sie nicht mal mehr schaffen, was ihnen Spass macht, weil sie so sehr im Kampf mit sich selbst und ihrem Verpeilen liegen, dass nichts mehr geht. Warum brauchst du das Verpeilen so sehr? Das kann viele Gründe haben, egal ob es um Abi, Diplome, Sourcen oder morgens joggen geht:

reale Überforderung: Das Projekt ist einfach ehrlich zu schwer für dich

Beispiel: Du stellst fest, dass du mit dem Plan, morgens 10 km zu joggen, total überfordert bist, weil restlos unsportlich und untrainiert. Also: Jogg weniger. Langsamer. Kleinere Strecken. Lies ein Laufbuch. Lauf mit jemand zusammen, der dir die richtige Technik bei bringt.

mangelnde Planung: Du weisst einfach nicht, wie du an die Sache herangehen sollst

Beispiel: Du willst wegen Studium in eine andere Stadt umziehen, stehst vor deinem Kram und dir ist völlig unklar, was jetzt dran ist und was du tun musst. Mach dir ne Liste, was dir einfällt. Sachen packen. Ok. Sinnig. Denk weiter, was du noch machen musst. Ah, erstmal Wohnung suchen könnte schlau sein. Liste das auf. Was sollte zuerst kommen? Was hängt wovon ab? Musst du erstmal recherchieren oder erstmal was anpacken? Frag dich, was brauche ich denn eigentlich für einen Umzug alles?? Frag jemand, der das schon gemacht hat - der wird dir dann sagen, dass es dafür fertige Listen bei Umzugsunternehmen gibt - so als Werbegoodie. Und schon wird klarer, was du wann in welcher Reihenfolge tun musst. Dann kannst du die Punkte abarbeiten.

Angst: Die reale Bedrohnung des Versagens steht vor deinen Augen und du bist wie gelähmt und kannst nicht klar denken

Beispiel: Mündliches Abi. Du hast Angst vorm reden. Prüfungen sind eh scheisse, es ist nicht gut gelaufen, du MUSST es jetzt schaffen. Atme tief durch. Angst ist eine körperliche Reaktion der Muskeln und der Atmung. Asthmatiker lernen zum Beispiel tief _aus_ zu atmen - dann atmet man automatisch wieder ein. Jetzt stell dir das totale Versagen vor. Das absolut allerschlimmste. Du machst dir stehend vor 10 Prüfern beim mündlichen Abi in die Hose vor Angst und alle lachen dich aus. Es steht am nächsten Tag mit Photo in der Zeitung. Mal dir das aus. So richtig. Wie schlimm ist das für dich und - wie wahrscheinlich ist, dass das passiert? :) Frage dich das. Übertreib in deiner Phantasie so richtig. Gönn dir die volle Angst-Scham-Dröhnung - und mach dir klar, dass du sowas REAL noch nie erlebt hast. Simulier die mündliche Prüfung mit vielen Leuten mehrfach hintereinander. Üb so oft mit sehr strengen Leuten, bis es dir nichts mehr ausmacht. Lass dich mit Absicht kontrollieren und benoten, lass dich kritisieren - üb das. Wenn du genügend Zeit hast, besuch einen Kurs zu "autogenem Training" oder zu Entspannungstechniken bei Prüfungsangst. Dort lernt man einige Tricks, wie man der Angst körperlich vorbeugt - und dann ist sie weg. Zu Letzt: Ein kleines bisschen Angst im Sinne von Lampenfieber wird immer bleiben. Damit kommst du aber zurecht.

Druck: Es geht für dich um alles und du MUSST es IRGENDWIE schaffen

Du handelst hier am besten wie unter "Angst". Druck ist etwas ähnliches wie Angst, du kannst ähnliche Massnahmen dagegen probieren. Wenn es für dich wirklich um ALLES geht, mach dir eine Liste der Alternativen. Meistens gibt es immer noch irgendeine Möglichkeit. Statt Abi jetzt erst eine Ausbildung, dann arbeiten und sich später an der Uni bewerben; sowas ist in den meisten Bundesländern im Hochschulgesetzt verankert als Möglichkeit. Oder du versuchst es über Trainee-Programme, Praktika, Ausbildung und viel Praxis. Wenn du dein Diplom in Fach A vergeigst, kannst du oft die Scheine in Fach B übernehmen, musst natürlich einiges nachmachen und machst dann ein anderes Diplom usw. usw. Das ist dann sehr aufwendig, aber es gibt diese Möglichkeiten.

falsches Projekt: Du hast dir etwas vorgenommen, was du im Grunde blöd findest, nichts für dich ist und du nur dachtest, es sei toll oder weil es total viel Prestige hat, dich aber eigentlich langweilt

Beispiel: Eine böse Falle sind Projekte, weil du dich verpflichtet fühlst. Für viele Frauen ist das ein grosses Problem - da liegt irgendetwas rum, was getan werden muss, also tun sie es, weil es niemand sonst tut. Überleg dir gut, ob du der Müllmann der Nation bist und ob es dir nicht KACKENEGAL sein kann, ob das jemand erledigt oder nicht. Ja, das ist egoistisch. Und sehr gesund - denn du kümmerst dich einfach um deinen Kram und nicht um den anderer Leute mit. Lern NEIN sagen. Du musst das nicht mal begründen. Wenn dich jemand fragt, ob du ihm beim Umzug helfen kannst, sag einfach nur freundlich "Nein, tut mir leid." Schluss. Für viele ist ein Problem, ein Projekt zu beenden, weil sie das Gefühl haben, sie liessen jemand im Stich. Vergegenwärtige dir, was dahinter steckt: Du möchtest das Gefühl haben, nützlich zu sein. Bist du - aber du bist nicht soooo unglaublich wichtig, dass ohne dich gar nichts mehr geht. Also brauchst du auch kein schlechtes Gewissen haben. Vielleicht holpert das Projekt etwas, aber es geht weiter. Wenn es zusammenbricht, nur weil du weg bist, dann überleg dir mal, wieviel gute Projekte du für DICH machen kannst, wenn du diese Zeit für das einsetzt, was DIR Freude macht. ;)

Selbstbild: Du hältst dich für unglaublich toll. Damit das so bleibt, misst du dich einfach nicht an der Realität - du könntest ja schlechter sein

Dieses Problem ist meistens ein Unterproblem der anderen Verpeilprobleme. Niemand merkt gern, dass er Angst hat oder sich dafür schämt, dass er in der mündlichen Prüfung sich einen zurecht gestottert hat. Viele Leute tendieren jetzt dazu, sich durch mehr "Grandiosität" besser zu fühlen. Man muss sich so oft als unglaublich schlau deklarieren, bis man es wirklich glaubt. ;) Eigentlich ist es ein relativ armseliger Mechanismus, sich dem Kräftemessen mit der Realität nicht zu stellen. Wenn du nie eine Prüfung machst ("Wozu Scheine machen - ich kann doch das Zeug"), nie irgendwas veröffentlichst oder nie ins CVS eincheckst, nie einen Kurs belegst und damit in Kauf nimmst, wieder Anfänger zu sein, nie eine Fremdsprache mal wirklich sprichst (damit du nie kapieren musst, dass dein Akzent vielleicht einfach zu mies ist), bleibst du in irgendeinem Stadium deiner Fähigkeit stecken. Es geht hier auch nicht um Konkurrenz, sondern darum, seine Fähigkeiten einfach zu erproben und realistisch einzuordnen! Und Nein, du bist nicht Gott. Es gibt immer (IMMER) irgendjemand, der es besser kann als du - möglicherweise vermeidest du nur, denjenigen mal kennen zu lernen.

Typische Selbstbildmechanismen sind:

Da das Thema des Howtos "verpeilen" also "nichts hinkriegen" ist, behandeln wir hier mal nicht, was es mit dem Grössenwahn von produktiven Leuten auf sich hat. ;)

Wäge für dich ab, was genau dein Problem ist. Es hilft vielen, wenn sie darüber nachdenken WIESO sie eigentlich Verpeilen. Wenn du nicht darüber nachdenken willst, rechne aber damit, dass wenn du das Ausweichen ins Verpeilen lässt, du genau erlebst, was das Grundgefühl ist, weswegen du verpeilst. Du wirst auf diese Gefühle zurückgeworfen werden. Damit musst du umgehen lernen - es geht aber vorbei, weil du ja irgendwann eine neue Gewohnheit entwickelt hast. Bis du soweit bist, rechne einfach mit Schwierigkeiten. FÜr jede spezifische Schwierigkeit kann man sich eine Umgangsform ausdenken, damit man möglichst gut damit zurecht kommt.

Es hilft an der Stelle übrigens NICHTS, sich selbst anzumeckern und anzutreiben: Hör dir selbst zu, überleg dir, wie du das fändest, wenn ICH dich so antreiben würde. Ah. Du würdest wilden Protest anstimmen? Ja. Genau das tust du dir selbst gegenüber. Und das Hin und Her Gerangel zwischen äh.. dir und dir selbst kostet dich Kraft und Konzentration. Also: Rede mit dir selbst genau SO wie du denkst, wie du als total cooler Projektmanager mit Entwicklern reden würdest! Sich selbst beschimpfen bringt nichts. Wenn du auf dich ein reden willst, dann sei nett zu dir - und wenn dir das blöd vorkommt, frage dich eins: Ist irgendein Mittel wirklich zu doof, wenn es dich dazu bringt, endlich dein Zimmer aufzuräumen? Und: Es hört und sieht niemand! Ausserdem: Deine Strategie des dich selbst anmeckerns hat bisher ja nichts gebracht - also, warum weiter machen?!

Lust und Motivation

Lerne, dass etwas erledigen NICHTS mit Lust oder "Motivation" zu tun hat. Entscheide einfach, ob du das jetzt tun willst oder nicht - auch wenn es sich Kacke anfühlt. Wenn du partout keine Lust hast, kann das an folgenden Dingen liegen:

Alle diese Probleme sind lösbar - sehr produktive Leute finden für _diese_ Probleme ebenso eine Lösung wie für ihre eigentliche Fragestellung. Beides geht Hand in Hand. Siehe oben bei "Gewohnheiten" und unten bei "zuviel vornehmen". Man neigt ausserdem dazu, eine ziemlich hedonistische Einstellung zur Produktivität einzunehmen: "Ich habe keine Lust" "Ich bin nicht inspiriert" "Ich bin demotiviert" "Heute ist nicht mein Tag" "I kann so ned arbeite" "Ich will nicht" "Wieso muss ich das tun?!" - Vergegenwärtige dir, dass du zu deinem Projekt jetzt einfach mal "Ja" gesagt hast - und mach es oder sag es ab. Manche Leute fordern einen unglaublichen Aufwand von anderen, indem sie sich motivieren lassen (nicht selbst motivieren) und sich sozusagen über jede Produktivitätshürde rüberhieven lassen. Viele Dinge, die man gern tun möchte, möchte man auch nicht TUN, sondern bereits können. ;)

Nimm dir nicht zuviel vor. Ein Hinderungsgrund, xy jetzt einfach zu erledigen ist oft, dass man sich schlicht zuviel vorgenommen hat. Man rechnet im Projektmanagement einen produktiven Entwickler, der so richtig toll arbeitet, mit 2-3 Stunden wirklich Code erzeugen - von 8 Stunden! Der Rest geht für Kommunikation, Fehler beheben, sich abstimmen, Ideen finden, Lösungen austesten und dazu lernen drauf. Alles ebenso wichtig - aber an der Stelle machen Laien, die sich was vornehmen folgenden Fehler: "1 Arbeitstag = 8 Stunden Produktivität" Wenn man _sehr_ gut organisiert ist, verplant man _höchstens_ 5 Stunden am Tag. Was heisst das für Erledigungen oder kleinere Projekte?

Belohn dich! Wenn du etwas geschafft hast, dann belohn dich dafür. Du kennst das zufriedene Gefühl, wenn du die Wohnung aufgeräumt hast, dich aufs Sofa setzt, ne Zigarette rauchst und denkst "Wow, cool!"? Geniess das! Koste es richtig aus! Die meisten Verpeiler meckern den ganzen Tag an sich rum - das nervt erstens, bringt zweitens nichts und führt drittens in der Regel dazu, dass man mit seiner Umwelt ebenso gnadenlos und fehlerintolerabel wie mit sich selbst umspringt! Wenn du ein Item geschafft hast, setz dich hin, iss ne Schoki, hör Musik, vchatte etwas, klick JETZT auf den Newstickern rum, mit denen du dich sonst ablenkst. NICHTS ist für dich, während du Antiverpeil-Anfänger bist zu doof, was dir hilft. Und bitte vergegenwärtige dir wirklich, was du geschafft hast und was nicht. Belohn dich für die coolen Sachen und nimm dir für den Rest einfach nur vor, es anders zu machen - ohne dich vollzumeckern. Nichts ist zu blöd, um dich aufzumuntern und dir das produktiv sein zu erleichtern.

Wenn es ganz schwer für dich ist, irgendetwas zu erledigen, wende einen mentalen Trick der Anonymen Alkoholiker an: "Nur für diesen einen Tag" wirst du ein paar Todos erledigen, früh aufstehen, pünktlich kommen, so arbeiten, wie du es dir vorgenommen hast, joggen, gesünder essen oder was auch immer. Nur heute. Nur mal um die Ecke gucken, wie es sich so anfühlt. Wenn du dann 30, 40 von den "nur heutes" hast, tritt die Gewohnheitsregel in Kraft. :)

Fang sofort an. Oder gibt es einen Grund, bis morgen zu warten? ;) Nein. Dieses typische "ab morgen" ist so ziemlich der sicherste Weg, es zu lassen. Wenn du lernen willst, dann räum JETZT deine Schreibtisch auf. Wenn du Steuern erledigen musst, dann sortier JETZT die ersten Papiere. Wenn du jetzt nicht fertig wirst - dann dauert es eben länger (du hast dich auch garantiert verschätzt!) und du machst morgen weiter, hast aber schonmal angefangen. Du musst nicht ALLES SOFORT ändern, aber du kannst sofort anfangen, irgendetwas anders zu machen. Nimm dir halt ein Ding vor und bleib dabei.

Lass das Ablenken. Die meisten Verpeiler machen irgendwas statt das, was sie sich vornehmen. An der Stelle musst du ein schwieriges Gefühl in Kauf nehmen: Das fühlt sich kacke an, wenn du Verpeil-Items LÄSST und nicht leicht, damit zurecht zu kommen - sonst würdest du es ja schon geändert haben!
Typische Verpeil-Items zur Erinnerung:

Man kann auch einfach mit Produktivität und Verpeilen experimentieren, indem man einfach das Verpeilen mal lässt und dann guckt, was passiert. Hast du kein Internet, packst du plötzlich massiv Umzugskartons aus. Ist da kein Chat, liest du plötzlich den Text für morgen.

Das ist etwas besonderes schwieriges: Du willst A tun und musst dafür gleichzeitig B lassen. Nur Antiverpeil-Könner können Chat nebenherlaufen lassen, produktiv arbeiten und setzen das Lesen des Newstickers als gezielte Belohnung ein. Solange du das nicht kannst, lass es. Du hast jedesmal die Wahl: Tun oder Verpeilen. Vergegenwärtige dir, was du tauschst: Verpeilen gegen ein Projekt hinbekommen. Denn:

Beantworte dir den Rest selbst, du weisst, was ich meine. Finde deine eigenen harten Verpeil-Items raus. Aber: Regel "Nimm dir nicht zuviel vor" tritt hier in Kraft. Dramatische "Ich werde NIE wieder Heise lesen" oder "Ab MORGEN kiffe ich nicht mehr" sind unrealistisch. Setz deine Verpeil-Items als Belohnung ein: Ich räume auf NACHDEM ich den Artikel fertig habe. Du kiffst NACHDEM du die Wohnung geputzt hast. Du liest entspannt den Abend News, NACHDEM du 4 Stunden für's Abi gelernt hast. Auch hier gilt: Nimm dir nicht zuviel vor!

Perfektion und Anspruch

Vergiss Perfektion. Es gibt keine. Perfekt heisst "vollendet". Überleg dir, was das heisst: Es heisst, es ist zu Ende. Nichts mehr dran zu tun. Das gibt es bei [...]. Genau. Ein Text ist nie perfekt. Ein System ist nie vollendet. Der Code ist nie perfekt. Dein Zimmer ist nie vollendet aufgeräumt. Also: Mach es GUT GENUG. Nicht perfekt. Produktive Leute haben sich nämlich auch ganz geschickt etwas vorgenommen, was sie auch schaffen können! Die nehmen sich nicht ein 1.0 Abi vor, wenn sie überall 5 Punkte haben, sondern sagen sich dann: "Ok, bloss kriegen!" und dann planen sie das einfach durch. Und plötzlich ist das Ziel erreichbar! Wenn du mit deinen eigenen Ansprüchen Probleme hast, stell dir vor, dass dir jemand das erzählt, was du dir gerade vorgenommen hast. Was denkst du? Angeber? Depp, wie willst du das schaffen? Ohilfe, willst du nie mehr schlafen? Genau. :) Überprüf deine Ansprüche! Ein mittelmässiges Diplom HABEN ist besser als ein absolut erstklassiges Topteil nie abgegeben zu haben - weil es nicht fertig ist. ;) Sourcecode, der vor lauter Brillianz kaum auszuhalten ist, ist NICHTS wert, wenn er 5 Jahre zuspät ist - um auf diesem Betriebssystem zu laufen.

Du kannst auch hier einen Trick anwenden: Denk nicht an das Ergebnis, was unglaublich toll sein soll, sondern an die Schritte, die du dafür tun musst und mach die so gut du kannst! Wenn du für eine Klausur 5 Texte lesen musst, dann LIES RICHTIG. Schreib raus. Denk nach. Zerbeiss jeden Satz. Nimm dir Zeit. Sei kritisch. WÄHREND du die Texte liest. Du wirst AUTOMATISCH bestmöglichst für die Klausur gelernt haben. Wenn du ein Projekt fertig programmieren willst, dann denk über den Code, den du gerade schreibst richtig nach. Schreib kleine Abschnitte - die aber richtig gut. Viele gute Entwickler programmieren in wirklich grossen Projekten mit ganz kleinen Schritten: Kleines Stück Problem als Code schreiben, compilen. Debuggen. Compilen. Ah. Tut. In grosses Stück rein stecken. Compilen. Ui, tut sofort! Kurz, wenn du die Einzelnen Handlungen bis zu Ergebnis sehr gut machst, wird das Ergebnis sich dem anpassen - ohne dass du dir Perfektion vornehmen und dich daran messen musst. Du bist nämlich leider nicht perfekt. ;)